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Nervst du noch – oder lernst du schon?

Der Trainingsraum – keine Muckibude

„Unterrichtsstörungen sind ätzend“, sagt Herr Kindermann in der Pause im Lehrerzimmer zu seiner Kollegin Fröhlich, „aber seit ich die Entscheidungsfrage stellen kann, gelingt mir mein Unterrichtsmanagement immer besser.“ – „Ja, der Trainingsraum ist wirklich ein Segen“, pflichtet ihm die Kollegin bei.

Die Entscheidungsfrage? Der Trainingsraum? Sind wir beim Quiz oder einem olympischen Wettbewerb? Wir sind an der Gesamtschule Schinkel. Dort gibt es seit 2004 das sogenannte Trainingsraumprogramm (TRP) und der Trainingsraum (TR) heißt mit vollem Namen „Trainingsraum für eigenverantwortliches Denken und Handeln“, kein sehr glücklicher, da missverständlicher Name, aber unter diesem Etikett ist die Idee – aus den USA kommend – seit 1998 in Deutschland bekannt, und hat sich seitdem an vielen, vielen Schulen als segensreiche Einrichtung erwiesen.

Konzept

Das Trainingsraum-Konzept der Gesamtschule Schinkel

Unterricht ganz ohne Unterrichtsstörung ist wohl kaum vorstellbar. Das Zwangssystem Schule verlangt wie jedes System Anpassungsleistungen, die je nach Situation mehr oder weniger gut gelingen. Allein ein gut vorbereiteter und gut durchgeführter Unterricht kann Störungen nicht verhindern, wenn ihre Ursachen außerhalb liegen. Wenn Fridolin in der Pause sieht, wie seine Freundin in der Schulhofecke mit dem Macker Marco herummacht, wird er in der folgenden Chemiestunde vermutlich abgelenkt sein und sich wenig begeistern können für die Versuchsanordnung, weil bei ihm selbst zur Zeit die heftigeren Reaktionen ablaufen. Oder wenn Agatha am Abend gehört hat, dass ihre Eltern sich scheiden lassen wollen, könnte das ihr Interesse am nächsten Vormittag für Dreisatz oder Demonstrativpronomen nicht unwesentlich einschränken. Und dann wären da noch immer mal wieder die Aufmerksamkeitsgestörten, die Klassenkasper und Klassenmachos oder diejenigen, die gerade mal nicht gut drauf sind, null Bock haben oder einfach mal wahrgenommen werden möchten.

Unterrichtsstörungen haben eine Vielzahl von Gründen, denen der Lehrer in der Stunde aber nicht im Einzelnen nachgehen kann. Es geht zunächst darum, den Unterricht für die große Mehrheit gedeihlich zu gestalten. Das TRP hat darum zwei Ziele, und zwar genau in dieser Reihenfolge: Erstens: Es will die lernbereiten Schüler/innen schützen und ihnen einen entspannten, ungestörten und qualitativ guten Unterricht ermöglichen. Und zweitens: Es will den häufig störenden Schülern Hilfen anbieten, damit sie ihr Sozialverhalten verbessern und die notwendigen sozialen Schlüsselqualifikationen erwerben.

Dazu gelten drei Grundregeln, die bisher von keiner Schülerin, von keinem Schüler in Zweifel gezogen wurden – von den Lehrern und Lehrerinnen gar nicht zu reden:
Man sieht: Die Wahrheit ist oft banal.

Wer gegen diese Regeln verstößt, wird erinnert und ermahnt – zuletzt in der ritualisierten Form: „Ich frage dich ausdrücklich: Möchtest du hier in Ruhe weiter mitarbeiten, oder möchtest du in den Trainingsraum gehen?“ Der Schüler muss sich persönlich entscheiden und das auch deutlich kundtun („Ich möchte hier in Ruhe weiter mitarbeiten.“) Diese Entscheidungsfrage hat etwa die Warnfunktion einer gelben Karte beim Sport, aber im Unterricht wird dem Übeltäter keine Entscheidung abschließend mitgeteilt, sondern er muss sie zunächst selbst treffen – eigenverantwortlich! Das heißt aber auch: Er kann sich dafür entscheiden, schon jetzt in den TR zu gehen. Arbeitet der Schüler zunächst ruhig mit, stört dann aber erneut, sagt der Lehrer zu ihm: „Ich sehe, du hast dich für den Trainingsraum entschieden.“ In der Schülersprache heißt das zwar „Ich habe die rote Karte bekommen“, aber sowohl die Entscheidungsfrage als auch diese abschließende Feststellung machen deutlich, dass der Schüler der Verantwortliche ist, nicht der Lehrer.

Der TR bietet dem Schüler dann die Möglichkeit, über sein Verhalten nachzudenken und Alternativen zu entwickeln. In einem Rückkehrplan schildert er, was an seinem Verhalten nicht in Ordnung war und welche Konsequenzen dies für ihn selbst, seine Mitschüler und Lehrer hat. Vor allem aber nimmt er Stellung zu der Frage: Was an meinem Verhalten werde ich ändern? Die Aufsicht im TR hilft bei der Eigenreflexion und dem Erstellen des Planes. Mit diesem Plan geht der Schüler zu seinem Fachlehrer zurück, bespricht ihn und beide treffen eine Vereinbarung, z. B.: „Ich setze mich bis zu den Herbstferien von Annette weg.“

Das Fazit: Der „Trainingsraum für eigenverantwortliches Denken und Handeln“ ist ein pädagogisches Instrument, mit dem in Ruhe und Respekt, Klarheit und Konsequenz auf Unterrichtsstörungen reagiert werden kann. Konflikte werden außerhalb des Unterrichtsgeschehens bearbeitet und mit Hilfe einer neutralen Person ohne Publikum zu klären versucht. Dadurch werden die lernbereiten Schüler geschützt, und den häufig störenden Schülern wird eine Hilfe angeboten, ihr Verhalten zu verstehen und damit zu verbessern.

Zudem ist das TRP ein Diagnoseinstrument, insofern auffällige Schüler erst in der Abgeschiedenheit des Trainingsraums und bei einer neutralen Person bereit und in der Lage sind, über tiefer liegende Probleme zu sprechen, die vielleicht die Ursache für ihr auffälliges Verhalten waren. Die Zusammenarbeit mit den Beratungslehrern oder dem schulpsychologischen Dienst ist möglich und manchmal angezeigt.

Aber auch nicht zu vergessen ist: Liegt die Ursache des Konflikts beim Fachlehrer, kann der Trainingsraum-Lehrer Kontakt aufnehmen und als Vermittler agieren. Das Fehlverhalten des Kollegen und der Konflikt bleiben nicht mehr anonym und das „Geheimnis“ der beiden Beteiligten, sondern können mediativ behandelt werden. Der Schüler bleibt mit seinen Problemen mit dem jeweiligen Fachkollegen nicht allein.

Alles in allem ist so zwar der Trainingsraum keine Muckibude, aber das hier angebotene besondere Training kann dem Schüler helfen, seine Eigenverantwortung zu erkennen und wahrzunehmen, und ihn dadurch befähigen, seinen Schulalltag stressfreier und erfolgreicher zu gestalten.

Trainingsraumprogramm

Trainingsraumprogramm – Vorzüge

A. Verantwortung des Schülers

  • Schüler wird gefragt und muss sich entscheiden.
  • Schüler reflektiert sein Verhalten.
  • Schüler entwickelt Alternativen.
  • Keine Bestrafung, sondern Zuwendung

B. Konfliktbearbeitung

  • Zeitersparnis: keine Belastung der Unterrichtszeit
  • Klärung ohne Publikum, d. h. sach-bezogen, nicht image-bezogen
  • neutrale Person fördert Deeskalation

C. Konfliktlösung

  • Analyse und Aufarbeitung in ruhiger Atmosphäre
  • Ernstnehmen des Schülers: seines Verhaltens, seiner Person,
    seiner Gründe
  • Ursachenforschung und angemessene Bearbeitung
  • bei Fehlverhalten des Schülers: Reflexion, Alternativen, u. U. Vermittlung
  • bei Fehlverhalten des Lehrers: Rückmeldung, Gespräch, Hilfestellung,
    u. U. Vermittlung

 

Zusätzlich:

Das TRP ist Diagnoseinstrument, insofern auffällige Schüler erst in der Abgeschiedenheit des Trainingsraums und bei einer neutralen Person bereit und in der Lage sind, über tiefer liegende Probleme zu sprechen, die vielleicht die Ursache für ihr auffälliges Verhalten waren. Die Zusammenarbeit mit dem Beratungsdienst und Schulpsychologen ist möglich und manchmal angezeigt.